Mit seinen Eichen, seinen Linden …

„Welcome to the German Century“ titelte unlängst das Magazin Newsweek. Sind die jetzt vollkommen übergeschnappt? Wissen die gar nichts von uns? Ein kurzer Beitrag über das Wesen, an dem die Welt auch im 21. Jahrhundert nicht genesen wird 

Sollen sie Autos, Motorsägen und Druckmaschinen bauen, aber der Kult um das deutsche Maschinenbauertum ist mir peinlich. Das ist ein Aspekt von Deutschland, der mich krank macht. Wenn fortwährend gesagt wird: Wir sind die Autobauer, die Motorsägenbauer, die Druckmaschinenbauer der Welt und sonst nichts. Wenn selbst den Krankenschwestern aus Ghana, den griechischen Gastwirten und den ostwestfälischen Kunstmalern von früh bis spät das deutsche Maschinenbauertum gepredigt wird. Wenn schon den Ungeborenen das Ingenieurwesen eingepflegt und eingeflüstert wird. Werde Kraftwerkbauer, Baby, oder wenigstens Kraftwerkimitator. Denn wir sind die Roboter. Denn das ist die Zukunft, und die Zukunft ist immer das Rechte. Aber ich halte diese Behauptung, diese Selbstbehauptung, für eine aus Angst geborene deutsche Lüge. Sogar „Dichter und Denker“ beschreibt uns besser. Erst recht „Schlafmützen und Tagträumer“. Heine wusste das noch, als er dichtete: „Franzosen und Russen gehört das Land, das Meer gehört den Briten, wir aber besitzen im Luftreich des Traums die Herrschaft, unbestritten.“

In Wahrheit blühte die altdeutsche Tagtraumexistenzweise mit ihren Freiheiten und Verschrobenheiten natürlich schon zu Heines Zeiten nur noch in den entlegensten Tälern. Und nach 1871 verdorrte sie auch dort. Sie ist zertrampelt worden im Nationalrausch und untergepflügt worden von den Krupp, Siemens und Bosch. Der Nationalrausch, der Stahlrausch und die Kaiser-Wilhelm-Institute haben uns zu Maschinenbauern gemacht. Zu Maschinenbauern mit Gefühl zuletzt.

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„Der Totalitarismus des Gefühls machte uns wahnsinnig“, sagt Irene Henselmann. Die Witwe des Architekten Hermann Henselmann spricht über die Nazizeit. Und über die Befreiung von dieser Tyrannei des Gefühls. In der DDR sei das Denken wieder zu Ehren gekommen. Und diese Renaissance der Ratio habe man als großes Glück erlebt. „Es war eine Erlösung. Es war erquickend wie die Klarheit des Morgens nach einer drückend schwülen Sommernacht.“

Irene Henselmann ist damals bereits über achtzig. Eine Frau von Adel, Mutter von acht Kindern, Architektin, Schriftstellerin, Prominentenwitwe. Eine wirkliche Lady, die der überfallartige Besuch eines hinterwäldlerischen Journalisten nicht aus der Façon bringt. Wir plaudern in ihrer schönen, großzügigen Wohnung im „Haus des Kindes“ am Straußberger Platz in Berlin. Es ist Frühling oder Spätsommer. Wir schreiben das Jahr 1997 oder 1998. So genau erinnere ich mich nicht. Ich weiß nur, dass ich am Ende eines Recherche-Streifzuges durch die Karl-Marx-Allee vor dem Portal des Wohnturms am Straußberger Platz stehengeblieben bin und auf dem großen Messing-Klingelschild den Namen Henselmann entdeckt habe. Hermann Henselmann, der von nicht wenigen Westlern als Kulturbolschewist verunglimpfte Erbauer der Stalinallee, des Hochhauses an der Weberwiese, des Hauses des Lehrers am Alexanderplatz: Mehr habe ich nicht gewusst. Nichts von seinem Tod. Nichts von seiner Witwe. Ich habe einfach auf gut Glück geklingelt – und bin eingelassen worden. „Isi“ Henselmann hat mir viel erzählt. Aber in Erinnerung geblieben ist mit nur ihre Charakterisierung der Naziherrschaft als Gefühlsdiktatur und ihre Rechtfertigungslehre: Im neuen Staat herrschte die Vernunft, man hat sich aus Freude am Denken zu ihm bekannt und für ihn gearbeitet. Der Kontrast ist mir in Erinnerung geblieben. Das Erlebnis der Lichtung.

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Ich stelle mir vor, wie sie dort alle gestanden haben für eine Weile. Wie sie sich ohne Angst angesehen haben. Und wie sie sich dann wieder links und rechts in die Büsche geschlagen haben. Wie sie ihre Motorsägen angeworfen und mit dem Abholzen begonnen haben. Wie sie aus Sehnsucht nach der Offenheit der Lichtung alles einebnen würden – wenn man sie ließe.