Die elektronische Tanzmusik der 1990er Jahre heißt nicht von ungefähr Techno. Das Etikett zeigt an, dass Technologie bei der Erzeugung der Musik eine wesentliche Rolle spielt; außerdem ist der Name Ausdruck einer klangästhetischen Präferenz: Techno klingt technoid. Aber noch aus einem weiteren Grund ist die Bezeichnung treffend. Techno ist technisch auch in dem Sinne, dass die Musik über eine klar umrissene Funktion hinaus nichts vermittelt. Sie ist wirkungsvoll, aber bedeutungslos. Sie stimmt den Hörer auf nichts ein, sie hebelt ihn aus …
Natürlich verfolgt alle Tanzmusik tendenziell einen ähnlichen Zweck. Sie entrückt die Hörer, dazu ist sie da. Es geht um Bewegungstrance, ums Außer-sich-Sein. Die musikalischen Mittel, die sich dazu eignen, Tänzer in solch einen Zustand zu versetzen, sind seit Alters her die gleichen. Von der irischen Jig bis zum karibischen Calypso, von der mittelalterlichen Tarantella bis zum modernen Hip-Hop bezieht Tanzmusik ihre treibende Intensität aus der variierenden Repetition rhythmisch prägnanter Motive. Mit solchen „Loops“ arbeitet auch der Techno. Was seine repetetiven Schleifen von denjenigen traditioneller Tanzmusik unterscheidet, ist zum einen die Simplizität ihrer Strukturen und zum anderen die maschinenartige Präzision ihrer Realisierung. Techno ist extrem durchsichtig und extrem unpersönlich. Die enge Verwandtschaft der Musik zur Mathematik, üblicherweise durch individuelle Musizier- und Intonationsweisen sowie zahllose andere Faktoren überspielt, wird im Techno bewusst zelebriert. Während traditionelle Musik Klangbilder erzeugt, in denen sich wie in Gemälden Persönlichkeit, Kultur und Welt ihrer Macher spiegeln, lässt sich im Fall von Techno allenfalls von Sonogrammen sprechen, von Funktionsgraphen, die zwar noch Stil erkennen, aber keinen Puls und keinen Atem mehr spürbar werden lassen. Techno hat keine Physiognomie und keinen Charakter. Er hat lediglich eine Funktion – die er freilich so unumwunden und zuverlässig erfüllt wie eine Guillotine die ihre: Techno befreit bürgerliche Hedonisten von ihrer als lästig empfundenen Verkopftheit. Das ist okay. Im Tanzen triumphiert die primitive Wirklichkeit des Leibes über die hinfälligen Konstruktionen des Intellekts, und weil sich das gut anfühlt, gilt die Liebe zum Tanz naturgemäß auch der Musik, die ihn befeuert.
Doch wie jede Musik erklingt auch Techno gelegentlich außerhalb des Kontextes, für den er gemacht ist, und als Hörmusik entfaltet er eine problematische Wirkung. Verantwortlich dafür ist eben seine Weltlosigkeit, das Fehlen jener Signifikanz, die beim Hören traditioneller Musik das Gemüt anspricht und beschäftigt. Techno erzeugt Energie, nichts sonst. Und wenn diese Energie nicht in Hitze und Bewegung umgesetzt werden kann, steigt sie dem Hörer zu Kopfe. Die Musik pumpt ihn zu nervöser, nichtiger Größe auf. Sie induziert Erregung, aber sie vermittelt kein Erlebnis. Während traditionelle Musik Erfüllung sein kann, drängt Techno zur Entladung. Und diese Entladung ist Leistung – letztlich in einem ganz und gar bourgeoisen Sinne.
Dass aus dem Techno ein Kult gemacht wurde, ist nicht verwunderlich. Seine Protagonisten folgten damit dem Schema vorangegangener Jugendbewegungen, die ebenfalls im Namen radikaler Selbstentäußerung gegen das Vätermodell der rationalen Selbstbeherrschung revoltiert hatten. Verwunderlich, nein, verstörend war die Perspektive der neuen Bewegung, denn mit ihrer weltlosen, in präziser Funktionalität sich erschöpfenden Kunst propagierte sie nichts anderes als den Bruch mit der humanistischen Tradition. Implizit machten sich die Raver stark für ein rein technizistisch gedachtes Menschentum. Mit Techno wurde „Love“ zum Signum eines neuen, erstmals auch jugendbewegten Kultes um Effizienz und Hochleistung.