Reproduktionstechniken werden salonfähig. Wer es wagt, die „wissenschaftliche Bestimmung von Leben und Tod“ zu kritisieren wie Sibylle Lewitscharoff vor einigen Monaten, muss mit Kaltstellung rechnen. Mein Beitrag beleuchtet einen bislang kaum beachteten Aspekt der Debatte, nämlich den der Kommerzialisierung des Lebens. Nicht wegen der Künstlichkeit als solcher lehne ich die reproduktionstechnischen Verfahren ab, sondern weil alles Gemachte einen Markt macht …
Bis vor wenigen Jahrzehnten wussten wir alles Notwendige übers Kinderkriegen. Dass ein Mann und eine Frau sich zusammentun müssen. Dass sie durch Zeugung, Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt zu Vater und Mutter werden. Dass ein Kind, jedes Kind, in eine Familie hineingeboren wird. Es war die natürlichste Sache der Welt und ein Heiligtum. Deshalb lässt uns noch heute jede Nachricht erschaudern, die Fortschritte bei der Manipulation des Unverfügbaren vermeldet. In-vitro-Fertilisation. Präimplantationsdiagnostik. Embyonenforschung. Leihmutterschaft. Klonen. Zweifellos verweisen diese Begriffe auf technisch fortgeschrittene Methoden und Praktiken. Aber sind sie auch fortschrittlich im Sinne einer vernünftigen, einer segensreichen Einrichtung für alle? Oder sind sie Ausdruck jener „Entwicklung ohne Fortschritt“ (Pier Paolo Pasolini), die jedes Wissen in eine Ware verwandelt?
Vor einigen Monaten konnte man in der Süddeutschen Zeitung das Bild einer glücklichen Familie bestaunen. Zwei junge Männer halten je ein Baby im Arm, zwischen ihnen schmiegt sich ein kleines Mädchen an die Brust des einen Mannes: ein homosexuelles Paar, das sich – mit Hilfe künstlich befruchteter Eizellen und zweier Leihmütter – drei Töchter angeschafft hat. Im Artikel („Väter mit Recht“) ist von dem hartnäckigen und am Ende siegreichen Kampf des Paares um die rechtliche Anerkennung der Familienverhältnisse zu lesen; darüber hinaus plädiert ein Standesbeamter für die Legalisierung von Leihmutterschaften, die das deutsche Embryonenschutzgesetz einstweilen noch unter Strafe stellt. Die Entwicklung, so der Beamte, sei „nicht mehr aufzuhalten“. „Der medizinische Fortschritt bringt es mit sich“. „Zeichen für einen großen Markt und einen großen Bedarf“ sind auszumachen. Die üblichen Argumente: technologiefixierter Progressismus, Marktfrömmigkeit und blaue Augen.
Hauptsache Familienglück?
Was denn sonst! Die PR-Berater der Kinderwunschzentren und Leihmütteragenturen verdrehen die Augen und präsentieren Bilder von süßen Babies, seligen Müttern und stolzen Vätern. Natürlich kann man ihnen die unerfreulichen Geschichten zahlloser Frauen entgegenhalten, die das Procedere der künstlichen Befruchtung als demütigend empfunden und angewidert abgebrochen haben. Man kann es bezweifeln, dass die angemieteten Mädchen aus Indien oder der Ukraine sich wirklich freiwillig den Risiken einer Schwangerschaft aussetzen, die zu nichts anderem führt als dem geschäftsmäßigen Abernten ihrer Leibesfrucht. Man kann auf die Babies hinweisen, die von ihren Bestellern zurückgewiesen wurden und im Waisenhaus landeten. Man kann das Problem der Mehrlingsgeburten ansprechen. Manche Eltern in spe fühlen sich zu Lieferanten von Forschungsembryonen herabgewürdigt. Manche Leihmütter bringen sich um. Insgesamt fällt die Erfolgsbilanz der Reproduktionsbranche bei weitem nicht so positiv aus, wie es die lächelnden Gesichter auf den einschlägigen Webseiten suggerieren.
Andererseits lügen die Bilder nicht. Zweifellos gibt es viele Paare, die ihr privates Glück auf dem Weg über die künstliche Zeugung finden. Und es werden immer mehr. Genau darin liegt aber die Krux. Denn wie auch immer man die Sache moralisch bewerten mag: Die zivilisatorischen, anthropologischen und bioethischen Konsequenzen des Geschäfts mit der Fortpflanzung machen sich erst bei einem hinreichend entwickelten Markt bemerkbar. Sollte es aber wirklich populär werden, sich Kinder machen zu lassen, können Bioethik-Kommisionen noch so feinsinnige „Regeln für den Menschenpark“ ersinnen: Die Repräsentanten unserer marktkonformen Demokratien werden die Empfehlungen in den Wind schlagen und erlauben, was gefällt.
Jeder weiß, dass die viel beklagte Ökonomisierung der Welt mit der weithin begrüßten Technisierung des Lebens korrespondiert. Dass es sich um zwei Aspekte ein und derselben Entwicklung handelt, die erkennbar darauf hinausläuft, dass jeder Atemzug erfasst, bewertet und abgerechnet wird. Wie eng die Luft bereits geworden ist, zeigt das Beispiel der technologiegestützten Kommunikation. Für ihre Vorzüge nehmen wir nicht nur den Verlust der Privatsphäre und fortschreitende Demenz in Kauf, sondern auch die Kommerzialisierung aller sozialen Beziehungen. Es gibt keinen technisch vermittelten Kontakt mehr ohne werbliche Einflussnahme, Produktkonditionierung und mediale Einschnürung des Fühlens und Denkens. Kaum ein Blick, der nicht gelenkt, kaum ein Kuss, der nicht angebahnt würde von Profitunternehmen, die uns durch unablässige technische und gestalterische Innovationen in einen Zustand permanenter Erlösungserwartung versetzen. Als Kommunikationsjunkies machen wir uns allerdings bloß zu Hampelmännern. Verschleudern wir künftiges Leben an die Medizinindustrie, machen wir uns zu Verbrechern.
Noch ist es die Liebe, die Sorge für das Leben trägt. Noch ist sie ein mächtiges Regulativ der Evolution; der einzige Schlüssel für eine offene Zukunft ist sie sowieso. Wem daran liegt, kann nicht wollen, dass die Fortpflanzung eine Angelegenheit bewusster Gestaltung wird. Was mit der Selektion vermeintlich defizitären Lebens verlockend beginnen mag, endet unweigerlich mit der Zurichtung ganzer Populationen für den Markterfolg. In die Produktion gelangen Wunschkinder mit garantierter Humankapitalrendite. Der Ausschuss wird zu Medikamenten oder Organprothesen weiterverarbeitet. Und es ist keineswegs gesagt, dass sich die eugenischen Bemühungen auf Blastozysten, Embryonen und Föten beschränken werden.
Wer das Leben in pragmatische Definitionen einzwängt, schafft Raum für den Tod und darf sich nicht wundern, wenn er überall vordringt. Auf der einen Seite markiert der Begriff Hirntod, auf der anderen die schrittweise Lockerung des Embryonenschutzes (beginnend bei der Freigabe der Abtreibung) den Geländegewinn. Zwar stehen diesem Befund die ungeheuren Aktivitäten des Medizinsektors entgegen. Zwar sind die Fortschritte bei der Medikmentenentwicklung, bei der Verpflanzung von Organen, beim therapeutischen Einsatz von Stammzellen nicht zu leugnen. Zwar setzen Ärzte Himmel und Hölle in Bewegung, wenn es etwa darum geht, moribunde Frühchen und Greise im Leben festzuhalten. Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt. Die Gesundheit triumphiert. Der Tod? Bald ganz gebannt, ist zu hören. Aber man lasse sich nicht täuschen: Die Gaben der pharmazeutischen und medizintechnischen Wirtschaft sind mit tödlichem Gift versetzt. Das Gesundheitssystem zwingt uns zum Wohlverhalten, und in der Folge legen sich Ängstlichkeit, Geiz und Missgunst wie Schatten selbst über blühendes Leben. Wer den Kopf zu weit in die Luft streckt, kriegt die Helmpflicht drübergestülpt. Wer krank wird, macht sich schuldig. Wer sich berauscht, macht sich unmöglich. Wer noch nicht oder nicht mehr in der Sprache lebt, riskiert den Verlust der Menschenwürde. Deshalb senkt sich der Daumen demnächst vielleicht schon über Schreikinder, die außer Forschern niemand will. Oder über Raucherkrebswracks, deren starke Herzen besser für Leistungsträger schlagen. Die alten Volkshygieniker wären entzückt: keine Todesschuppen und Vergasungswagen diesmal, sondern lichtdurchflutete Hospitäler. Alles ist sauber. Alle lächeln. Auch die Angehörigen der Todgeweihten lächeln.
Bislang treibt es vor allem kinderlose Eheleute in diese Richtung. Wie das Beispiel der „Väter mit Recht“ zeigt, drängen inzwischen aber auch homosexuelle Paare auf den Markt der Kindermacher. Nach der rechtlichen Gleichstellung von Lebenspartnerschaft und Ehe wird der Druck merklich zunehmen. Das ist schlecht. Ist es dann gut, Homosexuellen das unbeschränkte Recht aufs Kinderkriegen zuzusprechen? Und wie steht es mit dem vollen Adoptionsrecht?
In Frankreich sorgen diese Fragen derzeit für Aufregung. Das Land ist gespalten in Befürworter und Gegner der Mariage pour tous, jenes neuen Ehe- und Familienstandgesetzes, das nicht nur die „Homo-Ehe“ besiegelt, sondern auch die Worte „Vater“ und „Mutter“ aus dem Amtsgebrauch tilgt und durch den neutralen Begriff „Eltern“ ersetzt. Die massiven und anhaltenden Proteste gegen das Gesetz stoßen in Deutschland auf Gleichgültigkeit oder lösen Befremden aus. In den Medien werden die Gegner der „Ehe für alle“ in aller Regel paternalistisch als rückständige Trottel belächelt oder rüde beschimpft. Für die einen sind sie „gemeine Sexisten“, „religiöse Fanatiker“ und allesamt mit „Dummheit“ geschlagen (Sibylle Berg, Spiegel Online); andere wittern den Neid der „Benachteiligten dieser Erde“ und raunen von „tiefsitzenden Ressentiments“ der französischen Landbevölkerung gegen die modernen, hauptstädtischen Eliten, die, man höre, „hedonistisch, konsumorientiert, technologieversessen und experimentierfreudig ihr Leben gestalten“ (Tilmann Krause, Die Welt). Kein Wort darüber, dass die Franzosen nicht zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, um Leuten den Spaß am Küssen zu verderben, sondern um eine Entwicklung zu verhindern, die „unwiderruflich zur künstlichen Zeugung für alle führen wird“ (Manifest der Protestorganisation Manif pour tous).
Wie das?
Das Adoptionsrecht eröffnet Paaren einen Umweg zur Elternschaft. Für viele endet dieser Weg allerdings bereits heute in einer Sackgasse. In Deutschand etwa kommen auf ein zur Adoption vorgemerktes Kind im Schnitt sieben Bewerber. Stiege die Nachfrage weiter an, würde sich auch der Druck auf den Gesetzgeber erhöhen, krumme, bislang verfemte Wege zur Elternschaft freizumachen – etwa durch die Liberalisierung des Embryonenschutzgesetzes. Dass sich dagegen schon jetzt kaum noch Widerstand regt, zeigt der SZ-Beitrag über das homosexuelle Elternpaar nicht zuletzt mit seiner bezwingenden Bildsprache: Die beiden Herren posieren dort ja nicht nur als mutige Streiter für das uneingeschränkte Recht auf Elternglück, sondern auch als Helden im emanzipatorischen Kampf gegen die Ausgrenzung von Minderheiten. Welcher wohlgesinnte Bürger würde da nicht schwach? Als Vorkämpfer einer bunten, offenen Kultur stehen Homosexuelle bei den meinungsbildenden, politisch aktiven Schichten hoch im Kurs. Man hat sich ihre Forderungen zu eigen gemacht, sie waren immer gerecht, immer zeitgemäß, also muss wohl auch an der Kommerzialisierung des Kinderkriegens etwas dran sein. Imagetransfer nennt man so etwas in der Werbung: Wie bei der magischen Verwandlung von Billigfraß in Delikatessen durch Handauflegen eines Prominenten bekommt eine abwegige Praxis den Anstrich einer fortschrittlichen Tat.
Sicherlich teilt nicht jeder Schwule die Ansichten der „Väter mit Recht“. Natürlich besagt die sexuelle Orientierung nichts über die moralische Haltung oder politische Einstellung eines Menschen. Über die Gleichheitsforderungen scheint man sich aber in der Community weitgehend einig zu sein. Der Kampf um Egalität in allen Belangen soll durch ethische Skrupel nicht behindert werden. Letztlich präsentiert sich die Bewegung der Schwulen und Lesben dadurch als eine durch und durch bourgeoise Kraft, deren emanzipatorische Ziele perfekt mit dem herrschenden „Entwicklungs“-Gesetz übereinstimmen. Die offene Kultur wird imaginiert als ein Paradies der befreiten Körper und Geister. In Wirklichkeit ist sie ein El Dorado der makabren Geschäftsideen zur Formierung des Lebens.