Das erste Gebot der Vernunft

Das Problem mag noch so verwickelt sein, es gibt immer Leute, die ganz genau wissen, was zu tun ist – und es überall rumerzählen. Dabei verbinden sie ihre Handlungsempfehlungen gern mit einem Apell an die Vernunft. Es sei ein Gebot der Vernunft, sagen sie, genau dies und das zu tun. Na schön. Aber ich frage mich doch immer häufiger: Warum sprechen die eigentlich oft so gefährlich weihevoll wie weiland Robespierre im Wohlfahrtsausschuss? Können sie nicht geradeaus reden? Können sie keine Gründe nennen? Können sie mich nicht ernst nehmen? Gebietet es… mehr

Uhrenvergleich

Wenn ich wissen will, wie spät es ist und auf mein Smartphone schaue, sagen mir ein paar Ziffern schon alles. Für das Erfassen der Uhrzeit jedenfalls spielt das Display, auf dem die Ziffern erscheinen, nicht die geringste Rolle. Es handelt sich dabei lediglich um einen materiellen Träger, den ich ästhetisch bewerten oder technisch untersuchen kann, aber nicht beachten muss, wenn ich einfach nur die Uhrzeit ablesen will. Ganz anders liegt der Fall bei einer konventionellen Zeigeruhr, egal ob in ihr ein mechanisches Uhrwerk tickt oder ein elektronischer Taktgeber schwingt, ob… mehr

Denaturierte Gesundheit

Wie das Glück zählt auch die Gesundheit zu den Geschenken der Natur, die wir erst dann hervorkramen und genauer betrachten wollen, wenn sie dahin sind. Wer sich bester Gesundheit erfreut, lebt ohne Sorge und verschwendet nicht den geringsten Gedanken an etwas, das so fraglos da ist wie die Liebe und die Luft zum Atmen. Erst für Kranke wird Gesundheit zum Thema, zum Problem und zum Ideal. Erst die Krankheit ruft die Heilsgeschichtenerzähler, die Problemlöser und die Ideologen auf den Plan. Weil die Helfer in der Not vom Kranksein profitieren, haben… mehr

Tagesgespräch

»Blödsinn oder Fortschritt: Was halten Sie von gendergerechter Sprache?« Das war am 13. Oktober die Frage im „Tagesgespräch“, einem beliebten Hörer-sagen-ihre-Meinung-Format des Bayerischen Rundfunks. Dass die Frage ein geteiltes Echo hervorrufen würde, war vorherzusehen. Und so kam es dann auch: Zu Wort meldeten sich ungefähr gleich viele Befürworter und Gegner des neuerdings ja nicht mehr nur geschriebenen, sondern häufig auch gesprochenen Zwitterplurals (»die Musiker.Innen« statt »die Musiker« bzw. »die Musikerinnen«). Einige Anrufer begründeten ihre Meinung, die meisten bekundeten und bekräftigten sie bloß. Sie sahen es als vollkommen evident an, dass… mehr

Wider das totale „Wir“

Mehr als vor den angesagten Naturkatastrophen fürchte ich mich inzwischen vor denen, die sie unbedingt vereiteln wollen. Im Blick habe ich dabei allerdings nicht jene vorausschauenden Zeitgenossen, die sich klugerweise für konkrete Notfälle wappnen. Nein, es sind die Verfechter eines totalitären Humanismus, vor denen mir graut. Es sind die Leute, die lieber heute als morgen den allgemeinen Notstand ausrufen würden. Warum? Die von Humanisten seit eh und je erträumte emanzipative Herauslösung des Menschen aus dem Reich der Natur lässt sich nur vollenden, wenn den Menschen glaubhaft erklärt werden kann, ihre… mehr

Liebe Sprecherinnen und Sprecher

Was soll ich schreiben? Die Sprecher, die Sprechenden, die SprecherInnen, die Sprecher*innen? Dx Sprechx? Um die Frage zu kären, ist es vielleicht hilfreich, sich einige sprachwissenschaftliche Erkenntnisse in Erinnerung zu rufen. Dazu gehört die Beobachtung, dass die Verbindung zwischen einem Namen (etwa der Lautfolge „Baum“) und seiner Bedeutung (etwa die Vorstellung eines Baumes) keineswegs natürlich ist; vielmehr legt die Sprachgemeinschaft willkürlich fest, was Worte bedeuten sollen – wobei die realen Eigenschaften der Objekte bei der Benennung eigentlich keine Rolle spielen (ein Baum kann „Baum“ heißen, aber auch „arbre“ oder „tree“). Ein… mehr

Engel der Geschichte

Kürzlich erschien in der Neuen Zürcher Zeitung der Beitrag »Europas Traum und Trauma«. Der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Robert Habeck plädiert darin für ein geschichtsbewusstes Europa, das er zu einer „weltpolitikfähigen“ föderalen Republik formen möchte. Eine Replik. Die Welt gibt es nicht per se, vielmehr bringen wir sie durch Sprache erst hervor. Wer diesem konstruktivistischen Glauben anhängt und als Politiker die Welt verändern möchte, muss ganz besonders auf seine Worte achten. Der Konstruktivist Robert Habeck tut das bekanntlich nicht immer. Erinnern wir uns: Im Vorfeld der Thüringer Landtagswahlen rief… mehr

Nur damit das mal klar ist …

Fundamentalkritik der Technik beginnt mit der Einsicht, dass technische Hervorbringungen in vielerlei Hinsicht nützlich, aber im Ganzen gesehen schädlich sein können. Die Waffentechnik zum Beispiel. Je besser eine Waffe ihren Zweck als Werkzeug des Tötens erfüllt, desto tödlicher sind in der Regel die vom Techniker nicht berücksichtigten zivilisatorischen Folgen ihres Gebrauchs. Ähnliches gilt für Autos, für Computer, für Medikamente. Je besser sie sind, desto schlechter sind sie womöglich.

Denaturiertes Klima

Bekanntlich ist das Klima, das als Witterungsgegebenheit der Natur angehört, heute auch ein Kulturphänomen. Und zwar nicht deswegen, weil wir es irgendwie verhunzt hätten, sondern weil Wissenschaftler es auf die Agenda gesetzt und somit zu einem Streitobjekt und zu einem Gestaltungsthema gemacht haben. Warum haben sie das getan? Um die Welt zu retten, sagen die Idealisten. Um die Interessen bestimmter Mächte am Erhalt des klimatischen Status Quo zu vertreten, sagen die Realisten. Um ihre eigenen Pfründe zu sichern, sagen manche Ketzer. Du und ich sagen dies und das. Einer begreift… mehr

Ein übergriffiger Vergleich

Eine Antwort auf den Artikel »Die Rückkehr der Menschenfeindlichkeit« des Sozialpsychologen Harald Welzer, erschienen in der ZEIT vom 30. Mai 2018: Zunächst eine wichtige Mitteilung: Ich betrachte Harald Welzer als einen Bruder im Geiste. Mit seiner Kritik des Digitalismus (»Die smarte Diktatur«, 2016) hat er mir aus der Seele gesprochen. Seine Fragen an die Geschichte des Nationalsozialismus (»Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden«, 2005) sind immer auch die meinen gewesen. Sein zivilgesellschaftliches Engagement für die »offene Gesellschaft« schließlich nötigt mir so viel Respekt ab, dass ich ihm nur höchst… mehr