Es ist evident, dass die Praxis durch den technologischen Zugriff laufend revolutioniert wird. Mitte des 18. Jahrhunderts setzt jener permanente Wandel der Verhältnisse ein, der das an die Macht strebende Bürgertum zugleich begeistert und bestürzt und den es, um beim Vorwärtsstürmen nicht zu verzweifeln, umgehend als natürlichen Gang der Dinge hinstellt. Handgriffe fallen weg, Tätigkeiten erübrigen sich, Kompetenzen werden obsolet, nicht mehr gebrauchte Talente verkümmern, nicht mehr gebrauchte Charaktere sterben aus, Berufe verschwinden, andere entstehen, um bald darauf wieder überflüssig zu werden – und dennoch stellt sich die Mehrzahl der Bevölkerung immer wieder ohne großes Murren auf die jeweils neuen Verhältnisse ein. Ludditen, Traditionalisten und Reaktionäre bleiben in der Minderheit. Der Grund dafür ist einfach: Technik überzeugt die Menschen, weil sie hält, was sie verspricht. Und sie verspricht: weniger Arbeit, mehr Spaß, längeres Leben.
Dass die Technik ihre großen Entlastungs- und Versorgungsversprechen tatsächlich immer wieder zu halten vermag, erstaunt viele Menschen. Dabei vollbringt sie keine Wunder, sondern folgt nur ihrem Prinzip; die trickreiche Bewältigung von praktischen Aufgaben ist schließlich ihre ureigenste Aufgabe. Erstaunlich ist nicht die Tatsache, dass die Technik knifflige praktische Probleme löst. Erstaunlich ist vielmehr der populäre technizistische Glaube, dass die Praxis sich komplett in technische Funktionen auflösen ließe. Nach dieser Vorstellung besteht das praktische Leben aus einer unbestimmten, aber endlichen Menge benennbarer, messbarer und optimierbarer Verrichtungen, über die hinaus nichts Relevantes geschieht. Anders gesagt: Das praktische Leben ist ein Set lösbarer Aufgaben und nichts sonst. Lösungen sind aber nichts anderes als Verrichtungen, die im Hinblick etwa auf ihren Ressourcen- oder Energieverbrauch stets optimiert werden können. Da die Verrichtungen zudem mehr oder weniger Lust bereiten, ergibt sich für den Technizisten eine bestimmte Rangfolge ihrer Abarbeitung. Gut zu leben heißt nach technizistischem Verständnis, sich der weniger angenehmen Tätigkeiten möglichst vollständig zu entledigen (durch Rationalisierung, Automatisierung, Delegierung), um die gewonnene Zeit zur Optimierung der angenehmeren Lösungen zu nutzen. Da jedoch auch die angenehmsten Verrichtungen noch Arbeit machen, Ressourcen verbrauchen und Energie erfordern, hört die optimierende Tätigkeit nie auf, so dass jede Lösung stets nur weitere Lösungen nach sich zieht und die Erlösung auf immer ausbleibt – was Technizisten allerdings nicht schreckt. Sie benötigen keinen letzten Zweck, der die ewige Arbeit am Mittel rechtfertigt. Sie wünschen sich kein Glück, das über die obsessive Lust am Optimieren hinausgeht. Sie wollen nicht erlöst sein. Oder doch? Zumindest ein regulatives Prinzip, das sie befeuert und an dem sich ihre unermüdliche Tätigkeit orientiert, muss es auch für sie geben. Dieses regulative Prinzip kann nichts anderes sein als die Idee des absoluten Optimums. Das absolute Optimum, egal ob man es als unendlich fernes Ziel oder als innigstes Antriebszentrum imaginiert, birgt keine Probleme und keine Aufgaben mehr, es ist frei von Energie, von Materie, von Lust und Unlust, von allem. Genau genommen ist es nichts. Wer nur dafür lebt, Probleme zu lösen, lebt für nichts. Technizismus ist Nihilismus.
Und diese Feststellung ist keineswegs bloß „philosophisch“ gemeint. Wir kennen in der Praxis zahllose Beispiele für technische Optimierungsprozesse, die dem Nichts als dem absoluten Optimum bedenkenlos und rücksichtslos zuarbeiten. Man denke an die Vernutzung von Lebewesen in der industriellen Tiermast. An die Zurichtung von Menschen im Hochleistungssport. An die Entleerung der Kindheit im Zeichen effizienten Lernens. An die Elendsproduktion im Zuge der arbeitsteiligen globalen Güterproduktion. An die Übernutzung der Böden, die Verpestung der Luft, die Verschandelung der Landschaften. An das elektronische Monopoli der Finanzindustrie. An die Entnaturalisierung menschlicher Bindungen zur besseren Ausbeutung menschlicher Ressourcen. An die Naturalisierung des Konsums durch Kultur- und Werbeindustrie. An die restlose Vermarktung der Seele im Zeitalter des informationstechnologischen Totalitarismus. An Kampfdrohnen. An die Atombombe.
Der Technikphilosoph Günther Anders war der Meinung, die Technik sei längst zum Subjekt der Geschichte geworden, „mit der wir nur noch ‚mitgeschichtlich‘ sind“ [3]. Das mag stimmen oder nicht. Aber auch wenn es stimmt, ist das Leben immer noch mehr als ein Set von Aufgaben. Es fügt sich in keinen Rahmen. Es umgreift und übersteigt jeden systemischen Funktionszusammenhang. Relevant für das Leben ist in Wirklichkeit alles Geschehen, weil das Ganze in jedem Augenblick das Schicksal jedes Teils bestimmt. In dieser Weise Ganzes zu sein, ist sozusagen die Natur der Natur, der gegenüber wir auch als Titanen der Technik vollkommen abhängig bleiben. Ein Gefühl für diese Abhängigkeit zu entwickeln und zu kultivieren, wäre eine zivilisatorische Aufgabe ersten Ranges – aber eben keine technische.
Während der Technik das Gefühl fürs Ganze vollkommen abgeht, ist es konstituierend für die Religion. Religion als die dem Technizismus entgegengesetzte Haltung zur Welt ist im Grunde nichts anderes als Feier des Lebens.
Es fragt sich, welche Haltung das Subjekt im Spannungsfeld zwischen Technik und Religion einnimmt. Wo ist mein Platz? Und was ist meine Welt?
Subjekt und Subjektivität
Jeder Mensch, was auch immer er sich einbilden mag zu sein, ist auf jeden Fall ein welthaltiges Subjekt. Ich sehe die Welt von meiner Warte aus. Ich bin der Mittelpunkt meiner Welt. Und als meine Welt ist sie mein natürliches Zuhause. Mein Zuhause ist die Erde unter meinen Füßen, der Himmel über meinem Kopf, die Familie und die Gemeinde in meinem Herzen. Diese Welt mit ihrer eigentümlichen Luft, ihren eigentümlichen Wegen und eigentümlichen Menschen ist mir so innig vertraut, dass ich zwischen ihr und mir kaum zu unterscheiden vermag. Ich selbst bin der Dreh- und Angelpunkt meiner Welt, aber ob ich selbst denke oder ob meine Welt denkt, ob ich selbst Gefühle habe oder sie aus der heimatlichen Luft trinke – ich weiß es nicht und kann es nicht wissen! Nur dass sie da ist, weiß ich. Die Technik jedoch weiß nichts von alledem. Für sie ist das Subjekt nicht der Mittelpunkt einer Welt, sondern der archimedische Punkt, von dem aus jede Welt sich aushebeln lässt. Und so hebt sie, indem sie mir bei meinen Verrichtungen hilft, meine angestammte Welt aus den Angeln und setzt dafür eine neue Welt ein, die nicht mehr mein eigen ist. Zwar kann ich mich mit der neuen Welt vertraut machen, aber aufgehen – wie in der Heimat – kann ich nicht in ihr (jeder Mensch spürt das, wenn er nach langen, in der Bürogruft verlebten Stunden ins Freie kommt und unwillkürlich aufatmend sich urplötzlich wieder zuhause fühlt). Mit zunehmender technischer Beherrschung werden die Welten nicht nur immer fremder, sondern auch kleiner, härter, grober, stumpfer, metallischer. Als ich das Gras mit der Sense mähte, stand ich noch im Duft der Blumen und Kräuter, sah Mäuse davonhuschen und Schnecken sterben, spürte die Sonne auf der Haut und den Blick der Mädchen im Nacken; im Gehäuse des Traktors habe ich es nurmehr mit Hebeln zu tun – und mit mir selbst. Denn so klein und blechern mir die Welt im Gehäuse vorkommen mag, so groß und bedeutend bin ich mir selbst darin geworden.
Auch für die Entwicklung der Subjektivität ist die Technik verantwortlich – allerdings nur mittelbar.
Zwar vermag die Technik meine Welt fast beliebig durch neue Welten zu ersetzen, aber an mich selbst, den Dreh- und Angelpunkt allen Geschehens, reicht sie naturgemäß nicht heran. Ich bin es immer noch, um den sich die Welten drehen. Ich stehe weiterhin im Mittelpunkt des Getriebes, mehr noch, ich bin der Mittelpunkt. Nur stehe ich nicht mehr so fest auf meinem Grund. Ich bin mir meiner selbst unsicher, mir schwindelt, ich beginne an mir selbst zu leiden: Der Mittelpunkt wird zum wunden Punkt.
Ist das technifizierte Subjekt ein in Raum und Zeit lokalisierbarer Herd, der sich aufgrund fortwährender Reizung und Belastung entzündet? Oder bleibt es ein transzendentaler Grund, der jedoch durch die fortwährende Neujustierung der Wirklichkeit ins Wanken gerät? Wahrscheinlich ist es ziemlich egal, wie man es umschreibt und welche Erkenntnistheorie man bevorzugt. Worte und Erklärungsprinzipien ändern nichts an der Tatsache, die jeden von uns im Innersten betrifft und betroffen macht: Die Technik reißt Wunden auf, sie höhlt den Menschen aus und hinterlässt da, wo einst die Fülle der Welt war, eine unheimliche Leere. Die Gefühle, die sich in dieser Höhlung einnisten, machen sich bemerkbar als Phantomschmerz, als Heimweh und Sehnsucht, als Ressentiment, als Depression, als Zorn, als Hass, als Neurose, als Unbehagen in der Kultur.
Doch noch etwas tut sich in der Höhlung. Das Ich, das einst nichts anderes war als der Dreh- und Angelpunkt meiner Welt, bläht sich auf zum Ego, das sich seine Welt entwirft. Das kindlich-vertrauensselige Subjekt wächst sich aus zu einer Blase, die sich mit eitler Subjektivität füllt.
Die gesteigerte Ich-Kultur im Gefolge der Ersten Technischen Revolution prägte die künftigen Herren der Welt in schizophrener Weise. Das Bürgertum dachte nobel und handelte brutal. Kältere und geistreichere Egoisten hat es nie zuvor gegeben. Sie träumten stählerne Träume von Blauen Blumen. Zu den wundersamsten Manifestationen der Epoche zählen bekanntlich die idealistische Philosophie in der Nachfolge von Kant (die man als ein gigantisches Designprojekt zum Zwecke der wohnlichen Ausgestaltung von Platons Höhle verstehen kann), die romantische Literatur (der Novalis mit dem Motto „Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg “ ein psychologistisches Irrlicht aufsetzte) und die klassisch-romantische Musik (die statt kosmischer Einheit immer nur innere – meist zerrissene – Verhältnisse zum Klingen bringt).
Das Gemütliche Ich der Moderne
Im Folgenden möchte ich einen speziellen Fall von Ich-Kultur etwas genauer untersuchen. Und zwar deshalb, weil er eng mit der Entwicklung der Technik verknüpft ist und bis heute relevant zu sein scheint. Ich meine „das Ich“ der Gestalter der modernen Welt, also derjenigen Architekten, Künstler und Designer, die das technische Getriebe der Industriegesellschaft überhaupt erst annehmbar machten, indem sie adäquate Gehäuse dafür entwarfen. Bekanntlich geschah dies meist nach der reduktionistischen Devise „Form follows function“. Reduktionistisch warum? Weil der Gestalter, der dieser Devise folgt, Gestaltverläufe einzig unter dem Gesichtspunkt der Funktionalität betrachtet und andere Aspekte wie beispielsweise die Emotionalität außer Acht lässt und daher die Bedeutung, die Formen in der Praxis haben, nicht ausreichend würdigt. Wenn man die Priorität der Praxis gegenüber der Technik anerkennt, wenn man also das Leben nicht allein von den Mittel-Zweck-Relationen objektiver Funktionen bestimmt sieht (Leben ist, was sich tut), sondern eher von den selbstzweckhaften Handlungen freier Subjekte her begreift (Leben ist, was wir tun), wäre „Form follows practice“ die bessere, die menschlichere Maxime. Reiner Funktionalismus ist aus der Perspektive menschlicher Praxis zutiefst inhuman, weil er den Menschen auf die Funktion eines bloßen Agenten rationaler Aufgaben reduziert.
Die Architekten und Designer der Klassischen Moderne behaupteten freilich das Gegenteil. Sie sahen im Funktionalismus einen Hebel zur Humanisierung des Lebens im „Maschinenzeitalter“. Wenn etwa Mart Stam vom „Minimum-Maß“ der Wohnung schwärmte, wenn Grete Schütte-Lihotzky die „Rationalisierung im Haushalt“ forderte, wenn Le Corbusier die „Wohnmaschine“ oder die „Zelle im menschlichen Maßstab“ propagierte, dann geschah dies in der Absicht, den Menschen zu sich selbst zu befreien – und zwar durch bedarfsgerecht konzipierte Umgebungen, die helfen, „unnötige“ Verrichtungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Mehr Zeit für sich, weniger unnütze Arbeit: Wer wollte etwas dagegen haben! Und doch wirft das funktionalistische Programm peinliche Fragen auf. Welche Vorstellungen verbinden Modernisten mit dem Wort „unnötig“ ? Und was ist ihre Idee vom Menschen und seiner Freiheit?
Für Modernisten haben Dinge keinen Charakter und Räume keine Atmosphäre, Gestaltverläufe sind nicht Mittler von Gefühlen, Umgebungen können nicht frostig, hitzig, frisch, düster oder unheimlich sein. Kalte Formen gibt es nicht („Manche Leute sagen, was ich mache, sei ,kalt‘. Das ist lächerlich. Man kann sagen, dass ein Glas Milch warm oder kalt ist. Aber nicht Architektur.“ Ludwig Mies van der Rohe), gemütliche Formen gibt es schon gar nicht. Modernisten sagen mit Karl Kraus: „Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung, Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst.“ Ein Prosit auf die Bequemlichkeit! Ein Hoch auf das Gemütliche Ich! Wer wäre nicht bereit, sein Glas zu heben und mitzutrinken? In Wirklichkeit ist das moderne Selbst-Verständnis jedoch keineswegs so selbstverständlich, wie es die Pointe des Schriftstellers glauben machen will.
Modernisten sind cartesianische Dualisten. Der Mensch zerfällt für sie in zwei Substanzen, in Körper und Geist. Der Geist als der Sitz des Gemütlichen Ichs ist das Ein und Alles des Modernisten. Der Körper zählt nur insofern, als er die Maschine ist, die durch ihr Funktionieren den Geist lebendig erhält. Da Funktionalität nur unter bestimmten Umweltbedingungen gewährleistet ist, gilt es diese zu schaffen, zu erhalten und nach Möglichkeit zu optimieren. Es braucht Luft zum Atmen. Es braucht Wasser zum Trinken. Es braucht Licht, Nahrung, Kleidung, Häuser, Betten und viele andere, zur Verrichtung existentieller Aufgaben unablässige Dinge. Gaslaternen braucht es indes nicht, Kruzifixe, Spitzendeckchen und Bärte auch nicht. Weil sie unnötig sind, sollen diese Dinge verschwinden. Repräsentative Dinge sollen verschwinden, jeder Luxus, jede Art von Schmuck soll verschwinden. Und die für den technischen Lebensvollzug nötigen Dinge sollen auf das konstruktiv unbedingt Nötige reduziert werden. Und die unbedingt nötigen Funktionen sollen operationalisiert und nach Möglichkeit industriell verrichtet werden. Man muss notgedrungen selbst essen, aber nicht selbst kochen, weil die Arbeit in Kantinen effizienter erledigt werden kann. So wie das Vieh aus dem Haus verschwunden ist, sollen auch Küche und Heizquelle aus dem Haus verschwinden. Das Haus soll leer, die Wände sollen weiß, die Räumlichkeiten sollen transparent sein.
Warum dieser asketische Zug? Warum dieser Hass auf das Übermaß? Oft wird er als Ausdruck sozialen Engagements verstanden. Aber das ist falsch. Vielmehr ist er die Kehrseite der Liebe zur Idee einer rein rationalen Humanität, in der die Dialektik zu ihrem Ende gekommen und aller Eigensinn Allgemeingut geworden wäre. Die ersehnte Aufhebung der Subjektivität im Absoluten ist aber nichts anderes als eine Variante des von den Gnostikern erträumten Aufstiegs der vom Körper befreiten Seele zum Himmel. Letzten Endes regt sich im modernistischen Reinheitsfuror der uralte gnostische Hass auf alles Körperliche. Das Ziel des Gemütlichen Ichs ist die Erlösung von allen Dingen, von aller Natur. Die Welt der Gegenstände soll im Hohlraum der Seele verschwinden. Der Preis dafür ist die vollständige Technifizierung des Lebens.
Mit dem Purismus der gestalterischen Moderne korrespondiert der Freudianismus insofern, als auch er die cartesianische Spaltung der Einheit von Körper und Geist zur Grundlage seiner Lehre macht: Dem Ich steht auch bei Freud ein äußerliches, rein funktionalistisch gedachtes Getriebe gegenüber, nur dass es sich dabei nicht um das verwirrende Getriebe einer Stadt oder einer Fabrik, sondern um die verwirrenden Triebregungen im „Bauch“ der Individuen handelt. Diese gilt es gemäß der Maxime „Wo Es war, soll Ich sein“ zu beherrschen. Es fragt sich, was dieses freudianische Ich eigentlich sein soll. Der Dirigent, der sein Orchester bändigt, um die Musik erfahrbar zu machen? Oder der Kapitän, der die Maschinerie im Schiffsrumpf beaufsichtigt, um sein Ziel anzusteuern? Im ersteren Fall wäre das Ich der Mittler eines selbstzweckhaften Geschehens. Im zweiten Fall wäre das Ich der Zweck alles bloß als Mittel begriffenen Geschehens. Ich fürchte, dass die Psychoanalyse sich zwar selbst als Weg versteht, aber das Ich als Ziel deutet und damit missversteht. Das Ich soll möglichst der Kapitän der Seele sein, mindestens ihr Dirigent, keinesfalls aber der Musiker im Orchestergraben. Dessen Eingebunden-Sein in einen nicht selbst hergestellen und nicht selbst kontrollierten Gesamtzusammenhang ist des monarchischen Ichs nicht würdig. Daher ist das Freudianische Ich wohl weitgehend identisch mit dem Gemütlichen Ich der modernen Architekten: Es kommt zu sich erst dann, wenn im großen seelischen Verdrängungswettbewerb alles bloß Äußerliche abgestreift und überwunden ist. [4]
Genau wie die Seele der Gnosis ist auch das Ich der bürgerlichen Moderne von Anfang an eine aus Not geborene Zufluchtsphantasie. Weil der eiserne Druck der Verhältnisse es dem Subjekt nicht mehr erlaubt, Teil der Natur zu sein, schafft es sich eine Blase, in der es wenigstens ganz Kunst sein darf. Solche aus Not erzeugte Blasen sind auch „das Volk“ der Faschisten und „das Kollektiv“ der Kommunisten. Die Unterschiede sind gewaltig, aber in einem sind sich Reaktionäre und Progressisten einig: Es ist nicht auszuhalten in der Gegenwart der Materialschlachten.
Allenfalls die fühlen sich darin wohl, die sie geschaffen haben – die Ingenieure.